Mit der OeBiX-Ergänzungsstudie „Ökonomische Bildung im Zentralabitur“ legt im Auftrag der Flossbach von Storch Stiftung das Institut für Ökonomische Bildung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg erstmals eine qualitative Untersuchung vor, die analysiert hat, in welchem Maß ökonomische Bildungsinhalte in den Zentralabituraufgaben vorkommen. Außerdem wurde untersucht, in welchen Fächergruppen und Bundesländern Schülerinnen und Schüler eine zentrale Abiturprüfung mit ökonomischen Bildungsinhalten ablegen können.
Die OeBiX-Ergänzungsstudie „Ökonomische Bildung im Zentralabitur“ hat für die Jahre 2018-2022 untersucht, in welchen Bundesländern in den Fächergruppen „Eigenständiges Fach Wirtschaft“, „Kombinationsfach/Wirtschaft und Recht“ sowie „Sozialwissenschaftliches Integrationsfach“ eine Zentralabiturprüfung möglich ist. Auch das Maß der Verbindlichkeit der Prüfungen wurde untersucht. Außerdem wurden für die OeBiX-Ergänzungsstudie die Materialien der Aufgaben der jeweiligen Ankerfächer dieser Fächergruppen sowie die Aufgabenstellungen auf ihren Anteil an und Bezug auf ökonomische Bildungsinhalte analysiert.
Das eigenständige Fach Wirtschaft spielt im Zentralabitur bloß die Rolle des Nebenfachs unter den Nebenfächern: Nur in den beiden Bundesländern Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern wird im Zentralabitur das eigenständige Fach Wirtschaft geprüft, in zwei weiteren Bundesländern – in Hessen und im Saarland* – gibt es neben einem sozialwissenschaftlichen Integrationsfach auch zentrale Abiturprüfungen für ein eigenständiges Fach Wirtschaft.
Somit gibt es lediglich in vier Bundesländern zentrale Abiturprüfungen für reine Wirtschaftsfächer. Bei den zentralen Abiturprüfungen in anderen Nebenfächern ist das anders: So werden beispielsweise in 14 von 16 Bundesländern die Fächer Chemie, Physik oder Geschichte zentral im Abitur geprüft. Sport wird in zehn der 16 Bundesländer zentral geprüft, das Fach Philosophie immerhin in jedem zweiten Bundesland.
* Das Saarland hat keine Informationen für die Studienerhebung zur Verfügung gestellt.
Es gibt nur zwei Bundesländer, in denen ein eigenständiges Fach Wirtschaft besteht, für das es alleinig zentrale Abiturprüfungen gibt. In zwei weiteren Bundesländern gibt es sowohl das eigenständige Fach Wirtschaft als auch Kombinations- und sozialwissenschaftliche Integrationsfächer, für die zentrale Abiturprüfungen angeboten werden. Zumindest für eines dieser Fächer (Wirtschaftswissenschaften in Hessen) ist bekannt, dass dieses nur an sehr wenigen Schulen angeboten wird. In sechs Bundesländern ist Ökonomische Bildung ausschließlich durch ein Integrations- oder Kombinationsfach abgebildet.
In den sozialwissenschaftlichen Integrationsfächern sind der Anteil und die Verbindlichkeit ökonomischer Prüfungsinhalte in Vergleich zum eigenständigen Fach Wirtschaft deutlich geringer.
Fächer, die ökonomische Bildungsinhalte umfassen, sollten auch die von der Kultusministerkonferenz festgelegten "Einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur" (EPA) für Wirtschaft in der Abiturprüfung zugrunde legen. Jedoch erfüllen mehr als 87,5 Prozent der untersuchten sozialwissenschaftlichen Integrationsfächer dieses entscheidende Kriterium zur Sicherung der Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit der Abiturprüfungen nicht. Nur in Hessen liegen einem zentral geprüften Integrationsfach (Politik und Wirtschaft) die EPA Wirtschaft zugrunde.
Ob sich Schülerinnen und Schüler im Zentralabitur verbindlich mit ökonomischen Themen und Inhalten auseinandersetzen müssen, hängt stark von den Fächergruppen ab: In der Fächergruppe „Sozialwissenschaftliches Integrationsfach“ sind ökonomische Prüfungsinhalte nur in 12,1 Prozent der Fälle verbindlich festgeschrieben.
Anders ist es in der Fächergruppe „Wirtschaft und Recht“: Dort müssen ökonomische Themen in allen Prüfungen im Zentralabitur verpflichtend bearbeitet werden. Gleiches gilt für die Fächergruppe „Eigenständiges Fach Wirtschaft“ – mit Ausnahme von Hessen: Dort gab es im untersuchten Zeitraum von 2018 bis 2022 für das eigenständige Fach Prüfungstermine, bei denen den Schülerinnen und Schülern ein Aufgabenvorschlag zur Wahl vorlag, der keine Ökonomische Bildung umfasste. So konnten die Schülerinnen und Schüler die Themen der Ökonomischen Bildung in der Abiturprüfung abwählen.
Im wirtschaftlichen Alltag und in den Wirtschaftswissenschaften spielen Zahlenmaterial wie z. B. Statistiken und mathematische Darstellungen eine zentrale Rolle. Daher sollten diese auch im Zentralabitur – und zuvor im Unterricht – berücksichtigt werden. Bei den Prüfungsmaterialien, die Abiturientinnen und Abiturienten im Zentralabitur zu den Aufgaben erhalten, fällt allerdings gerade in den Fächergruppen „Wirtschaft und Recht“ und „Sozialwissenschaftliches Integrationsfach“ eine starke Einseitigkeit auf: Der Anteil von Texten, insbesondere Zeitungsartikeln u. ä., ist deutlich höher als derjenige von Zahlenmaterial und Statistiken. Lediglich in der Fächergruppe „Eigenständiges Fach Wirtschaft“ ist das Verhältnis von Text- und Zahlenmaterial ausgewogen.
Der Umgang mit Zahlenmaterial, wie zum Beispiel Statistiken, spielen im wirtschaftlichen Alltag sowie in den Wirtschaftswissenschaften eine zentrale Rolle. Dementsprechend sollte die Auseinandersetzung mit diesen auch im Zentralabitur in einem angemessenen Umfang erfolgen. Ungeachtet dessen wird in 96,1 Prozent aller Prüfungsaufgaben für die Fächergruppe „Sozialwissenschaftliches Integrationsfach“ keine Arbeit mit entsprechenden Quellen gefordert. Vielmehr wird hier auf Textarbeit und -analyse abgehoben. In der Fächergruppe „Eigenständiges Fach Wirtschaft“ wird in den Prüfungsaufgaben der Umgang mit Zahlenmaterial und Statistiken noch am ehesten verlangt, wenngleich auch hier ein deutliches Übergewicht auf der Textarbeit liegt. Über alle Fächergruppen hinweg erfordern nur 7,4 Prozent der Aufgaben den Umgang mit Zahlenmaterial und Statistiken, Textarbeit wird hingegen in fast der Hälfte aller Aufgaben verlangt (46,3 Prozent). Hinweis: Zahlreiche Aufgaben umfassen keine Arbeit mit Materialien.
Schulfächer werden neben den Inhalten vor allem über die spezifischen Denkweisen, Fachkonzepte und -kompetenzen der zugrunde liegenden Fachwissenschaften definiert. So nimmt das Fach Ökonomische Bildung eine ökonomische Perspektive ein, so wie das Schulfach Politik eine politikwissenschaftliche Perspektive fokussiert. Diese jeweils fachspezifische Perspektive sollte sich auch zwingend in den Abiturprüfungen widerspiegeln. Im Fall der Ökonomischen Bildung spielen diese fachspezifischen Perspektiven im Zentralabitur in weiten Teilen aber nur eine untergeordnete und in einigen Fällen sogar gar keine Rolle.
Letzteres gilt insbesondere für das Denken in Anreizwirkungen: In keiner Fächergruppe werden diese Basiskategorien der Ökonomischen Bildung in den Aufgaben berücksichtigt. In der Fächergruppe „Sozialwissenschaftliches Integrationsfach“ bleibt in den Aufgaben sogar das Denken in ökonomischen Modellen in Gänze unberücksichtigt. Dies ist mit dem Blick auf die wissenschaftspropädeutische Ausrichtung der gymnasialen Oberstufe und die in ökonomisch geprägten Lebenssituationen an die Schülerinnen und Schüler zukünftig gestellten Anforderungen problematisch.
Betriebswirtschaftliche Inhalte sind in den untersuchten Zentralabituraufgaben der einzelnen Fächergruppen nur vereinzelt enthalten. Dabei sollte Ökonomische Bildung sowohl Inhalte aus der Volkswirtschaftslehre (VWL) als auch der Betriebswirtschaftslehre (BWL) umfassen. In der Fächergruppe „Sozialwissenschaftliches Integrationsfach“ ist die BWL gar nicht verankert. Die VWL wird zwar berücksichtigt, aber nicht einmal halb so gut wie nicht-ökonomische Bezugsdisziplinen wie z. B. Politikwissenschaften.
Und auch in eigenständigen Wirtschaftsfächern kommt die BWL mit einem Anteil von 2,1 Prozent an den Aufgaben nur in äußerst geringem Maße vor, während die VWL mit einem Anteil von 74,1 Prozent umfassend berücksichtigt ist. Am ehesten gelingt die Verankerung der BWL noch in der Fächergruppe „Wirtschaft und Recht“ mit 14,6 Prozent. Hier liegt der VWL-Anteil bei 36,1 Prozent.
Ökonomische Bildung umfasst im Allgemeinen vier Inhaltsfelder: Private Haushalte, Unternehmen, Staat und Internationale Wirtschaftsbeziehungen. Diese vier Inhaltsfelder sollten weitestgehend gleichverteilt in allen weiterführenden Schulstufen/Jahrgängen mit aufsteigendem Anforderungsniveau gemäß der Idee des Spiralcurriculums berücksichtigt werden. Im Zentralabitur spielen allerdings zwei der Inhaltsfelder, Private Haushalte und Unternehmen, kaum eine Rolle, wodurch beispielsweise die Verbraucherbildung weitestgehend außen vor bleibt. Sofern diese beiden Inhaltsbereiche berücksichtigt werden, stehen in aller Regel nur die Folgewirkungen von z. B. wirtschaftspolitischen Maßnahmen für die Akteure Private Haushalte und Unternehmen im Fokus.
Finanzielle Allgemeinbildung und Entrepreneurship Education sind zwei wichtige inhaltliche Bereiche der Ökonomischen Bildung. Aber: Beide sind nur marginal beziehungsweise gar nicht in den Aufgaben des Zentralabiturs verankert. Finanzielle Allgemeinbildung bezieht sich im Zentralabitur zudem fast ausschließlich auf Geldpolitik. Die in der Finanzbildung vor allem fokussierte Perspektive von Verbraucherinnen und Verbrauchern, etwa beim Umgang mit Finanzprodukten, spielt nahezu keine Rolle.
Das Zentralabitur ist eine institutionelle Rahmenvorgabe im deutschen Schulwesen, die das Unterrichtsgeschehen in der gymnasialen Oberstufe maßgeblich beeinflusst. Mit Blick auf die Unterrichtsinhalte gibt es wohl kaum ein wirksameres bildungspolitisches Steuerungsinstrument in der Sekundarstufe II.
Der Begriff „zentral“ bezieht sich in Deutschland aber (noch) nicht auf die Bundes- sondern lediglich auf die Landesebene. Damit gibt es auch im Zentralabitur zurzeit viele verschiedene Regelungen und Vorgaben.
In der Ökonomischen Bildung ist die Situation noch heterogener, weil – mit Ausnahme von speziellen Schularten wie Wirtschaftsgymnasien oder Weiterbildungskollegs – nur sehr selten eigenständige Fachstrukturen existieren. Im Regelfall findet sich Ökonomie in Integrationsfächern gemeinsam mit anderen Disziplinen wie Politik, Soziologie, Geschichte oder Recht.
Aufgrund der heterogenen Fachlandschaft in den Bundesländern – verbunden mit unterschiedlich hohen Stundenkontingenten und differierenden Fachphilosophien – gibt es signifikante Unterschiede hinsichtlich der Qualität und Quantität Ökonomischer Bildung in der Sekundarstufe II. Zur empirischen Auseinandersetzung mit dieser Hypothese analysieren wir in der OeBiX-Ergänzungsstudie qualitativ und strukturell alle ökonomischen Zentralabituraufgaben aus den Jahren 2018 bis 2022.
Zu der quantitativen Betrachtung verweisen wir auf die OeBiX-Studie zum Stand der Ökonomischen Bildung in Deutschland, die im Jahr 2021 veröffentlicht wurde.
Prof. Dr. Dirk Loerwald, Wissenschaftliche Leitung/Geschäftsführung
Institut für Ökonomische Bildung gemeinnützige GmbH (IÖB)
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Das Institut für Ökonomische Bildung Oldenburg (IÖB) verfolgt das grundlegende Ziel der Förderung der ökonomischen Bildung. Diese erfolgt durch die Bereitstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen über ökonomische Lehr-Lern-Prozesse und die Entwicklung von Hilfestellungen für den Unterricht.
Telefon: +49 441 361 303-49
E-Mail: loerwald@ioeb.de
www.ioeb.de
Verena von Hugo, Vorständin
Flossbach von Storch Stiftung
Köln
Die Flossbach von Storch Stiftung ist eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts. Sie wurde von Dr. Bert Flossbach und Kurt von Storch mit dem Ziel gegründet, Bildung, Erziehung und Wissenschaft insbesondere in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit jedes Einzelnen und zur Stabilität unserer Gesellschaft zu fördern.
Telefon: +49 221 33 88-950
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